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Die Lügen
Adam und Eva waren so lange nackt, bis sie gelernt haben, dass sie sich dafür schämen müssen. Genau geht es Kindern, die irgendwann eine Badehose verlangen, wenn sie lernen, dass es sich nicht gehört, nackt zu sein. Als ich letztes Jahr für einen Monat in ein Nudistencamp gezogen bin, hat es ein paar Tage gedauert, bis ich es wieder verlernt habe, mich für meine Nacktheit zu schämen. Warum ist das so? Vielleicht weil ich mich mit Schönheitsidealen vergleiche und dann sehe, das mein Bauchnabel zu groß und meine Brustwarzen zu klein sind. Dann fühle ich mich so schlecht in meinem Körper, dass ich ihn lieber verstecke. Genauso wie ich andere Eigenschaften von mir verstecke, die gesellschaftlichen Normen widersprechen. Im Kindergarten wurde ich wegen meiner dicken Lippen gehänselt. Die anderen Kinder fragten mich ständig, ob ich aus dem Kongo komme. Zehn Jahre später erzählten mir die Mädchen, was für tolle Knutschlippen ich habe. Was soll das? Wem kann ich glauben? Die Natur, Gott, meine unsterbliche Seele oder wer auch immer, hat dafür gesorgt, dass wir alle heute hier sind. Genauso wie wir sind, sind wir perfekt. Perfekt sind wir unter all diesen Schichten von Lügen, hinter denen wir uns verstecken, weil wir glauben, nicht gut genug zu sein. Weil uns die Werbeindustrie erzählt, wie wir zu sein haben. Wenn ich hier von Lügen spreche, dann meine ich damit keine boshaften Täuschungen. Es sind Meinungen, die für mich nicht wahr sind. Es sind Geschichten, die nur dann wahr werden, wenn wir daran glauben. Immer dann, wenn wir sie glauben und dann uns selbst und anderen erzählen, dann werden die Lügen ein Teil unserer Wirklichkeit.
Das (Un)Wissen
Nachdem Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, erkannten sie den Unterschied zwischen Gut und Böse. Davor war alles perfekt, alles war geschaffen von Gott. Wie sollten die Menschen wissen, dass es schlecht ist, den Apfel zu essen? Diese Eingebung hatten sie erst, nachdem sie schon verdorben waren. Warum hätte Gott den beiden also böse sein sollen? Er war es schließlich, der den Baum dorthin gestellt und die Menschen geschaffen hat. Die Ursünde bestand nicht darin, die verbotene Frucht zu essen, sondern darin, den Lügen der Schlange zu glauben und sie dann gegen sich selbst und andere zu einzusetzen. Dadurch haben sich Adam und Eva von Gott entfernt. In dem Moment, in dem sie sich von Gott entfernten, fingen sie an, nach ihm zu suchen. Sie begannen nach Liebe zu suchen, nach Schönheit, nach Gerechtigkeit, nach Glück. Heute suchen wir immer noch danach. Nach dem Paradies, in dem es keine Lügen gab, die unser Handeln bestimmen. Wir sind definitiv nicht mit diesen vielen Meinungen geboren. Babys wollen nur geliebt werden und spielen. Für sie gibt es nur Wahrheit. Sie bewerten nicht. Sie machen sich keine Sorgen über die Zukunft. Sie drücken ihre Emotionen ungefiltert aus. Dann lernen sie zu sprechen, sie lernen etwas über Moral und darüber, wie sie zu sein haben. Sie nehmen die Meinungen von ihren Eltern, Lehrern und Freunden auf. Sie fangen an, zu manipulieren und zu bewerten. Dinge sind plötzlich richtig und falsch, hübsch und hässlich, gut und schlecht. Sie beginnen die Welt durch eine Brille zu sehen, die nicht ihrer eigenen Wahrheit entspricht. Uns wird dann erzählt, was wir alles müssen: gute Noten in der Schule bekommen, eine sichere Anstellung bekommen und fürs Alter sparen. Ach ja, und immer schön die Nachrichten lesen, damit wir am Stammtisch mitreden können. Wenn ich die Reisewarnungen vom Auswärtigem Amt lesen würde, dann hätte ich wohl die Hälfte meiner Reisen nicht gemacht. Wenn ich jeden Tag die Bild-Zeitung lesen würde, dann würde mir die Erde wie die Hölle vorkommen. Wenn ich jeden Tag eine Stunde bei Instagram bin, dann würde ich denken, dass alle außer mir im Paradies leben. Je mehr Ernährungsratgeber ich lese, desto weniger weiß ich, was gut für meinen Körper ist. Je mehr Modetrends ich verfolge, desto weniger sehe ich durch. Je mehr ich über die Selbständigkeit lerne, desto mehr Angst habe ich, mich selbständig zu machen.
Das Paradies
Kennst du den Typen, der es nicht besser wusste und es dann einfach gemacht hat? Wenn alle sagen, dass etwas nicht geht, dann kommt einer, der es nicht besser wusste und einfach macht? Ist es nicht so, dass wir manchmal glauben, viel zu wissen, dadurch aber nicht unbedingt weiser werden. Dass uns das angelernte Wissen den Kopf vernebelt, bis wir uns immer weiter uns von der Wahrheit entfernen. Das Paradies, der Garten Eden, steht für die Einheit mit Gott und im weiteren Sinne für die Einheit mit mir selbst. Der Baum des Todes und der Baum des Lebens bilden eine Einheit. Sie bedingen sich gegenseitig. Je mehr Früchte ich vom Baum der Erkenntnis esse, desto weniger bekomme ich vom Baum des Lebens. Die große Frage lautet jetzt, wie wir Lügen erkennen. Wahr sind Träume, Déjà-vus, Unterbewusstes, das Bauchgefühl. Wahr ist alles, was nicht durch den Verstand verzerrt wird. Wenn du aus einem Flugzeug springst, beim Marathon ins Ziel einläufst oder frisch verliebt bist, dann spürst du Wahrheit. Wenn der Körper erschöpft oder voll mit Hormonen ist, dann hat der Kopf Sendepause. Und wahr sind vor allem unsere Emotionen. Wenn ich Liebe empfinde, Wut oder Trauer, dann muss mir das niemand erklären. Dann muss ich das nicht mit dem Kopf verstehen. Das Problem ist, dass viele Emotionen auch nur eine Reaktion auf die Lügen sind, die wir uns selbst erzählen. Es gilt also, dem Ursprung dieser Emotionen auf den Grund zu gehen. Das soll kein Aufruf zum Boykott von Bildung sein. Ich glaube schon, dass es gut ist, uns Wissen anzueignen und Meinungen von anderen Leuten zu hören. Aber wir sollten sehr vorsichtig damit sein, diese Lügen für unsere eigene Wahrheit zu halten. Wir alle haben ein körpereigenes Alarmsystem für Lügen, für Geschichten, die für uns keinen Sinn machen. Je weiter wir uns von der Wahrheit entfernen, desto schwerer wird es, diese Alarmanlage zu hören.
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