Cannabisgesetz Interview Rechtsanwalt Niermann

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10.09.2023 15:25:34
"Das Einzige ist, dass man 25 Gramm rechtmäßig besitzen darf. Ich kann also mit maximal 25 Gramm durch die Stadt gehen und verhalte mich legal. Aber das löst keines der Probleme, wofür dieses Gesetz angegangen wurde."
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Was halten Sie davon, dass die deutsche Bundesregierung Cannabis legalisieren will?

Sie will Cannabis nicht legalisieren. Heute war die Bundespressekonferenz und jetzt ist der Referentenentwurf als Kabinettsentwurf vorgestellt worden. Und de facto wird Cannabis damit nicht legalisiert.

Das Einzige ist, dass man 25 Gramm rechtmäßig besitzen darf. Ich kann also mit maximal 25 Gramm durch die Stadt gehen und verhalte mich legal. Aber das löst keines der Probleme, wofür dieses Gesetz angegangen wurde.

Das Ziel war ja die Abgabe von Cannabis an Erwachsene in Fachgeschäften. So wie wir es in Kanada gesehen haben, so wie wir es von den USA kennen, so wie sich das jetzt in Thailand anbahnt. So dass ich jederzeit die Entscheidung treffen kann: Ich gehe in ein Geschäft und kaufe mir jetzt Cannabis.

Diese Absicht wurde aufgegeben, weil man gedacht hat, die Probleme in Europa wären zu groß, als dass man sie jetzt in schnellen Schritten angehen könnte. Da war zum einen der Rahmenbeschluss von 2004, in Umsetzung der Single Convention about Narcotic Drugs von 1961, und die untersagt den Handel von Cannabis zu nicht-medizinischen und nicht-wissenschaftlichen Zwecken. Da gab es aber auch eine Klausel, wenn das nicht „mit Berechtigung“ erfolgt, und diese Klausel ist umstritten. Man hätte sie so auslegen können, dass wenn innerstaatlich legalisiert wird, dann ist das „mit Berechtigung“. Die Tschechische Republik geht jetzt diesen Weg.

Aber dann gab es diese ominösen Gespräche mit der EU-Kommission und keiner weiß so genau, was da gesprochen wurde. Es ist Vertraulichkeit vereinbart worden. Das geht eigentlich nicht, weil das ein transparenter Gesetzgebungsprozess ist.

Aber nun ist man zurückgerudert. Nun hat man das Problem, dass man den Schwarzmarkt zurückdrängen will, aber dafür braucht man Produkte. Wo sollen diese Produkte herkommen?

Der Eigenanbau von drei Pflanzen ist da erst einmal gut, aber die 25 Gramm Besitzobergrenze kennt keine Ausnahmegenehmigung für den Eigenanbau. Ich schaffe es aber niemals, unter 25 Gramm anzubauen. Das geht gar nicht. Auf eine Grenze beim privaten Eigenanbau sollte man ganz verzichten. Oder ich muss meine Pflanzen klein halten, so eine Art Bonsai Cannabis, damit ich bei jeder Pflanze maximal 24,9 Gramm ernte.

Was aber, wenn ich 45 Gramm ernte? Muss ich dann 20 Gramm zum Mülleimer bringen? Und was ist in der Phase, in der ich es zum Mülleimer bringe und es im Mülleimer liegt, bis es von der Müllabfuhr abgeholt wird? Mache ich mich in der Zeit dann strafbar?

Das ist alles nicht durchdacht. So treibt man die Leute vom Eigenanbau weg, denn der ist de facto nicht möglich.

Hier kommen dann die „Anbauvereinigungen“ ins Spiel, auch als Cannabis Clubs bekannt?

Die Cannabis Clubs dürfen maximal 500 Mitglieder haben. Das Gesetz dreht sich von Paragraph 11 bis Paragraph 30 nur um dieses Thema. Die Anbau Clubs sind überzogen mit Vorschriften, mit Dokumentationspflichten, mit Berichtspflichten, mit Kontrollpflichten durch die Behörden. Es ist eine Qualitätsvorgabe im Gesetz vorgesehen, die den Produktionsstandards für medizinisches Cannabis entspricht. Das ist absolut unnötig in einem Cannabis Club. Eine Anbauvereinigung muss nicht auf medizinischem Niveau anbauen. Das ist reinster Wahnsinn, das wird keiner schaffen.

Nächster Punkt: Ein Verein startet mit sieben Leuten. Sieben Leute tun sich zusammen, müssen diesen ganzen bürokratischen Wahnsinn durchgehen, sich anmelden, die Genehmigung holen, die Jahresmeldung machen, Buch führen. Das geht mit sieben Leuten vielleicht noch, aber es macht keinen Sinn und es macht vor allen Dingen keinen Spaß.

Mit 500 Leuten muss ich wahrscheinlich zwei Leute einstellen, die sich nur um die Erfüllung der Auflagen kümmern. Dazu kommt die Verwaltung der zwei unterschiedlichen Mitgliedergruppen: von 18 bis 21, die nur Cannabis mit maximal 10% THC-Gehalten haben dürfen und die über 21.

Wenn sich 500 Mitglieder regelmäßig etwas abholen, ist das ein wahnsinniger Aufwand, eine wahnsinnige Bürokratie. Wo soll das herkommen? Das sind laufende Kosten. Die muss ich erst mal schultern. Nur für den Anbau darf ich geringfügig Beschäftigte einstellen, aber keine Dritten beauftragen. Ich darf keinen „Master Grower“ als Dienstleister beauftragen. Zum Trimmen darf ich keinen Dritten reinkommen lassen oder bei der Ernte.

Wo das Geld dafür herkommen soll, erklärt auch keiner. Da ist ein Sponsoringverbot vorgesehen und wahrscheinlich auch ein Spendenverbot.

Meiner Meinung nach läuft die Legalisierung hier ins Nichts. Man darf dann 25 Gramm legal besitzen. Ansonsten wird sich nicht viel ändern.

Also hat sich durch die Stellungnahmen der Interessenverbände gar nichts verbessert?

Nein, der Entwurf ist sogar strenger geworden. So ist das Tatbestandsmerkmal „Missbrauch zu Rauschzwecken“ wieder da. Das hatte dazu geführt, dass CBD-Blüten in den letzten drei bis vier Jahren so furchtbar umstritten waren.

Da gab es den Fall der Hanfbar aus Braunschweig und vor dem Landgericht Braunschweig hat ein Sachverständiger gesagt: Mit 15 Gramm Nutzhanfblüten mit 0,1% THC kann ich mir ein Gebäck herstellen, womit ich mich dann mit 15 Milligramm THC berauschen könnte. Ich könnte das in einem Rutsch essen und deshalb sei der Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen. Schon ging ein Verfahren nach dem nächsten los, eine Razzia nach der nächsten. CBD-Blüten findest du überall, von Flensburg bis Passau, in jedem Kiosk, an jeder Tankstelle. Das geht auch nicht mehr weg. Und täglich gibt es Razzien dagegen.

Und wenn dieses Tatbestandsmerkmal wegfallen würde, dann hätten die CBD-Blüten eine Zukunft auf dem deutschen Markt, so wie es in der Schweiz ist, so wie es in Österreich ist, so wie es in Belgien und Luxemburg ist.

Der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel hat schon vor zwei Jahren in seiner 54. Sitzung empfohlen, dieses Tatbestandsmerkmal zu streichen, weil seiner Ansicht nach kein Missbrauchspotenzial bei Nutzern vorhanden ist. Das ist ein Fachausschuss aus führenden Toxikologen in der Bundesrepublik.

Dann war das in den ersten drei Entwürfen weg und jetzt ist es in der letzten Sekunde wieder reingerutscht. Und das heißt, CBD-Blüten werden weiter kriminalisiert. Es wird weiter Razzien geben. Die Produkte werden verschwinden, das dauert kein halbes Jahr mehr, weil klar ist, dass es vorbei ist.

Das betrifft aber auch den Hanfblätter-Tee, der seit Jahrhunderten in Deutschland erhältlich war und seit Jahrzehnten im deutschen Einzelhandel war. Auch da werden Razzien gemacht. Auch diese Tees werden beschlagnahmt.

Die Tee-Hersteller, die Hanfbauern, die schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Die wollen endlich eine rechtssichere Lösung, damit sie Hanf anbauen und vermarkten können. Aber so geht das natürlich nicht.

Welche anderen Regelungen im Gesetzentwurf sind aus Ihrer Sicht nicht praktikabel?

Ein Beispiel sind die Konsumverbote in der Öffentlichkeit. Wenn du in Berlin auf die Straße gehst, müsstest du dich erst einmal drei Kilometer wegbewegen, bevor du überhaupt öffentlich an einem Ort Cannabis konsumieren darfst. Du darfst als Cannabis-Patient nicht mehr vor deinem 16-jährigen Sohn oder deiner 17-jährigen Tochter konsumieren. Das ist dann eine Ordnungswidrigkeit.

Cannabis soll aus dem öffentlichen Bild verschwinden. Dann lieber gar kein Gesetz als dieses Gesetz.

Wenn du jetzt durch Berlin gehst, dann ist Cannabis total normal. Es wird überall geraucht, an jeder Stelle, auch draußen. Wenn man es als Konsument geschickt anstellt, dann passiert einem auch nichts. Und jetzt hast du Bußgeldtatbestände, Vorschriften und andere Dinge, die du beachten musst, von denen du gar nichts weißt. Was, wenn du nachts gerade an einem Kindergarten vorbeigehst und mit Freunden einen Joint rauchst und dann fährt die Polizei vorbei. Du bist 178 Meter von einem Kindergarten entfernt und sollst dann zukünftig dafür eine
Geldbuße zahlen.

Wenn mehr inkriminierte Verhaltensweisen in ein Gesetz geschrieben werden, wird das auch das Bewusstsein der Bevölkerung verändern. Dann kommt der Nachbar und beschwert sich. Dann kannst du nicht mehr am Strand liegen und am Joint ziehen, denn da laufen Kinder herum. Eigentlich kriegt keiner was mit, der Wind verweht das alles, alles ist friedlich, aber der Nachbar am Strand ruft die Polizei.

Da entsteht etwas, das kontraproduktiv ist. Dann würde ich fast sagen: Lieber so lassen, wie es jetzt ist. Die Mehrzahl der Konsumenten lebt damit heute.

Wie erklären Sie sich, dass jetzt ein Gesetz kommen soll, das kaum eine Verbesserung darstellt?

Da kann man einmal sehen, was für eine konservative Gesellschaft wir haben und was für eine konservative „Fortschrittsregierung“. Sie sind vor zwei Jahren angetreten und haben gesagt: mehr Fortschritt wagen, mehr Freiheit wagen. „Mehr Demokratie wagen“ hieß es früher ja mal, aber das hier ist genau das Gegenteil. Das ist Betäubungsmittelgesetz 2.0 für Cannabis mit ein paar anderen Vorzeichen. Aber letztendlich sind wir da keinen Schritt weitergekommen.

Wie würden Sie sich das Cannabisgesetz idealerweise wünschen und gibt es dafür Vorbilder?

In Belgien, Österreich und Luxemburg sind Hanfblüten und -blätter frei verkehrsfähig. Bei den CBD-Blüten wird das als pflanzliches Rauch-Erzeugnis angesehen. Die Tabakprodukte-Richtlinie der EU sieht ausdrücklich einen Abschnitt für Rauch-Erzeugnisse vor. Darunter wird das reguliert. Dann muss man sich eine Steuerbanderole besorgen und kann das frei handeln.

Unser Büro hat vor zwei Jahren beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine entsprechende Allgemeinverfügung zum freien Warenverkehr beantragt. Das heißt, wenn die CBD-Blüten in einem europäischen Land frei verkehrsfähig sind, müssen sie das auch in einem anderen Land sein und das andere Land kann nur Gesundheitsgefahren für die eigene Bevölkerung einwenden. Und das hat das BVL gemacht: „Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen“.

Andere Länder machen das besser. Die sehen, dass man sich mit Hanf nicht berauschen kann. Es ist vielleicht physikalisch möglich, wenn man sich auf die Hinterbeine stellt. Aber es ist faktisch ausgeschlossen, dass das jemand macht. 

Ansonsten sieht es in Europa düster aus. Meiner Meinung nach wird man Cannabis in der Europäischen Union nicht regulieren können, weil man nie auf einen Nenner kommen wird, genauso wenig wie bei der UN und dem Einheitsabkommen. Staaten wie Russland oder die Philippinen werden niemals der Streichung von Cannabis aus dem Anhang der Single Convention zustimmen.

Was jetzt aber die Tschechische Republik versucht, ist interessant. Da müssen wir ganz genau hinschauen. Die planen gerade ein neues Gesetz. Es gab auch schon den ersten Entwurf vor zwei Wochen. Ich hatte die Gelegenheit, mit dem Berater des Drogenbeauftragten der Tschechischen Republik auf einem Panel zu sitzen. Die planen einen Psycho Modulatory Substances Act, also ein Gesetz zu bewusstseinsverändernden Substanzen.

Sie wollen Cannabis legalisieren, auch die Industrie mit einbeziehen, damit die Industrie das herstellt und verkaufen kann in Geschäften. Aber „Psycho Modulatory“  ist nicht nur Cannabis, sondern das ist dann zum Beispiel auch Kratom, das ist HHC, das sind CBD-Blüten bis 1% THC etc. Je nach Gefährlichkeit der Droge werden unterschiedliche Maßnahmen eingeführt und unterschiedliche Strafen. Das ist das Besondere und das Moderne an diesem Gesetz. Man beurteilt die Gefahren und macht eine Risikoabschätzung und stimmt die Maßnahmen dementsprechend darauf ab. Das wäre eines der modernsten Gesetze in diesem Bereich weltweit. Das wird spannend.

Was können Interessenverbände und Bürger tun, damit ihre Stimme gehört wird?

Aus meiner Sicht ist alles gesagt und alles getan. Die Hanfparade war gerade am Wochenende. Die Verbände haben ihre Stellungnahmen abgegeben – umfangreich und durchdacht. Wenn die Politik nicht hören will, wenn dieser gesundheitspolitische Alarmismus Vorrang hat vor gerechten, praktikablen und handhabbaren Lösungen, dann ist das so, dann ist diesem Land aber auch nicht zu helfen.

Wir sind doch jetzt an diesem Thema seit 1968 dran. Wenn wir jetzt nicht die Chance nutzen und ein vernünftiges Gesetz machen, was soll man dann noch machen?

Natürlich kann man mit diesem schlechten Gesetz erst einmal arbeiten und seine Wege dort finden. Wir können dann weiter daran arbeiten und bei der nächsten Wahl hoffen, dass es nochmal besser wird.

Aber es ist klar, dass es eine Klagewelle geben wird. Wenn man einen Bußgeldbescheid oder eine Strafe bekommen hat oder ein Antrag nicht gewährt wurde, dann geht man halt vor Gericht.

Das war beim medizinischen Cannabisgesetz genauso. Da gab es einen Patienten, der auf seinem Balkon sein Cannabis selbst anbauen wollte, um sich damit zu therapieren. Damit hat er vorm Bundesverwaltungsgericht gewonnen. Das gefiel der Bundesregierung nicht und da hat sie ein eigenes Gesetz für Cannabis als Medizin eigeführt.

Nur durch Klagen werden letztendlich Veränderungen eintreten.

Wagen Sie eine Vorhersage dazu, wie es mit dem Thema Cannabis-Legalisierung in Deutschland jetzt weitergeht?

Die zuständigen drogenpolitischen Sprecher der Ampelfraktionen haben sich mehrfach geäußert und halten diesen Gesetzesentwurf ebenfalls für zu strikt. Das ist zumindest, was sie öffentlich kundtun. Ob sie sich jetzt durchsetzen, weiß man nicht. Vielleicht wird es so wie bei der Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), bei der es wohl 88 Änderungsanträge gab, bis das letztendlich durch war.

Gerade in der SPD gibt es Hardliner wie Karl Lauterbach und Nancy Faeser, die wohl ausdrücklich auf dieser 25-Gramm-Grenze bestanden haben, gerade auch beim Eigenanbau. Ob die SPD-Linie da aufgeweicht wird im parlamentarischen Verfahren, oder ob die beiden zurückgerufen werden, oder wie die Grünen und die FDP sich verhalten werden, ob die so einem restriktiven Gesetzentwurf zustimmen, das ist alles ganz schwer vorherzusehen. Das kann noch Monate in Anspruch nehmen, bis die sich geeinigt haben.

Es kann sein, dass wir im parlamentarischen Verfahren eine deutlich liberalere Version bekommen. Es kann sein, dass es so verabschiedet wird und es kann auch sein, dass es komplett scheitert.

Themen: Cannabis