Der Yoga Boom: Yoga’s gone big, Baby. Tatsache.

Wie rasend schnell sich das Bild des Yoga im Westen verändert hat! Kaum 60 Jahre nach dem großen Import durch die großen Meister wie Swami Vishnudevananda, Indra Devi, B.K.S. Iyengar oder Paramahansa Yogananda (um wirklich nur ein paar von ihnen zu nennen),  stehen wir vor der Frage, wie sich Yoga nun weiterentwickeln wird, wenn es in dieser kurzen Spanne so einen gewaltigen Sprung gemacht hat. Bei einer derartig rasanten Entwicklung klappt selbst Veränderungsfreudigen gerne mal die Kinnlade nach unten.

Manchmal werde ich etwas nachdenklich, wenn ich in der Szene Feindseligkeit gegenüber dem Yoga-Boom verspüre. Was steckt dahinter? Ist es wirklich die Befürchtung, dass die Lebensphilosophie Yoga missverstanden wird? Ist es die Vorstellung, dass Yogis, die neben ihrer Praxis auch das weltliche Leben nicht verachten, glücklicher sein könnten? Ist es der Missmut gegen Kommerz im Allgemeinen? Ich weiß es mittlerweile einfach nicht mehr.

Wenn man in der Yogabranche arbeitet, bekommt man neben den ganzen positiven Vibes auch allerhand gewittrige Stimmungen mit. Wenn es um die eigene Erleuchtung geht, wird auch mal der Ellbogen eingesetzt, bewertet, geurteilt und missgönnt. Ja, das ist sicher die negative Seite eines Booms. Und wahrscheinlich soziologisch und evolutionsbiologisch gesehen auch ein natürlicher Wesenszug des Menschen. In der letzten Zeit wurden allerhand Artikel verfasst, die sich mit der „Verfremdung der Tradition“ in der westlichen Yogakultur befassen. Ich finde, es ist an der Zeit, auch einmal einen Artikel pro Boom zu verfassen.

 

Yoga’s gone big, Baby. Tatsache.

 

Jetzt kann man natürlich vieles sagen wie: „Da geht die ganze Kultur verloren“ oder „Was hat denn das noch mit Yoga zu tun?“ oder „Spirituell ist was anderes“ oder „Dieser ganze Kommerz verwässert diese Jahrtausende alte Tradition“ oder mein Favorit: „das ist doch alles total unyogisch“ (wer kennt diesen Neologismus nicht?). Klar, es gibt wie immer zwei Seiten der Medaille. Es ist sicher nicht erstrebenswert, sich vom Ursprung derart zu entfernen, dass Patanjalis Sutren irgendwann mit dem Term Kamasutra verwechselt werden. Oder am Ende niemand mehr weiß, dass Yoga „Einheit“ bedeutet. Ich meine, es ist sogar bedenklich, sich mit einer alten Lehre zu befassen, ohne die Ursprünge erforscht zu haben. Ganzheitlich ist es schon gar nicht. Und gerade beim Yoga besonders schade. Als würde man auf Schatzsuche gehen, eine wertvolle Truhe ausgraben und sich dann nur über die schöne Aufmachung der Kiste zu erfreuen, anstatt das harte Holz aufzuknacken um sich dann letztendlich am wahren Schatz zu ergötzen.

Was wirklich wichtig ist, ist nicht als Prinzipienreiter darauf zu beharren, dass wir in den Studios nicht „Yoga“ praktizieren, sondern „Asanas“. Schon recht. Gut, dass es zahlreiche Blogs, Magazine und Filme gibt, die die Aufgabe der Aufklärung gern übernehmen. Die Möglichkeit ist einem als mündiger Bürger zumindest gegeben, sich zu informieren und tiefer in die Philosophie einzutauchen. Hallo, liebe Freiheit! Nein, es ist wichtig, mit Freude zu erkunden und erforschen. Sich selbst in dieser hektischen Zeit zu spüren, mal für 90 Minuten Gleichmut zu empfinden. Wenn man sich also erstmal an seinem schönen, gestählten Körper oder einem ruhigeren Geist erfreut, ist doch schon ein fortschrittlicher Schritt getan.

 

Poppige Vorreiter braucht es manchmal

 

Indra Devi, die Vorreiterin der Yoga-Amazonen und Mutter des westlichen Yoga, hat die damals noch exotische Lebensphilosophie von Indien über Japan nach Hollywood gebracht. Und dort Schauspielgrößen wie Greta Garbo und „Yogi-Bombshell“ Marylin Monroe unterrichtet. Daraufhin eiferten zahlreiche Frauen den Idealen ihrer Idole nach. Was zu dieser Zeit sicher wichtig war. Immerhin war das Gesellschaftsbild der Frauen in den Wirtschaftswunder-50s sehr stark von Heim und Herd geprägt. Erst durch solch krasse Ströme konnten doch auch Revolutionen wie die Freien Sechziger befeuert werden. Jedes Zeitalter braucht eben gewisse Vorzeigemodelle, die etwas verrückt erscheinen, aus der Norm fallen und Traditionen brechen – um daraus wieder etwas wunderbar Neues zu erschaffen.

 

Abgesehen davon waren Frauen bis dato noch nicht wirklich im Yoga anzutreffen

 

Als sich Indra Devi bei Krishnamacharyas Yogashala um einen Ausbildungsplatz bemühte und letztendlich aufgrund ihrer Hartnäckigkeit vom großen Meister in den Kreis aufgenommen wurde, musste sie sich weiterhin mit viel Mühe und Durchhaltevermögen die Gunst und Akzeptanz ihres Meisters erwerben. Und heute? Sind in Yogastudios überdurchschnittlich Frauen anzutreffen. Ist Yoga dadurch unmündiger geworden oder verwässert? Im Gegenteil! Yoga ist fest in unserer westlichen Kultur verankert. Das belegen nicht nur die zahlreich aus dem Boden sprießenden Yogastudios, sondern auch die Abverkaufszahlen sämtlicher yogaspezifischer Magazine. Das Modebild der Yoginis hat sich verändert, ist sportlicher geworden, schicker, dazu ökologischer und sinnlicher. Es gibt in nahezu jeder großen Stadt die Möglichkeit, in Restaurants auch vegane Menüs zu bestellen oder sogar in veganen Supermärkten von Joghurt über Tofuschnitzel seinen Gaumen zu verwöhnen. Was wäre ich ohne mein Yogatowel, dass mich im Hund vor dem Wegrutschen und einer womöglichen Verletzung bewahrt. Ich trage gerne Malas und mein Yoga Jedi-Shirt, das auch meinen Mitmenschen zeigt: Ich habe einen Lebensstil gefunden, der mich zufrieden macht.

Dass der Boom Yoga demokratischer gemacht zu haben scheint, ist nicht zu verachten. Für die Ausübung der Asanas braucht es im Grunde nur eine Yogamatte. Oder eine rutschfeste Unterlage. Aber ist es nicht schön, wie sich die Mode so weiterentwickelt hat, dass sie beim Yogieren nicht scheuert, angenehm sitzt und den Schweiß gleichmäßig aufsaugt? Oder, dass es zu jedem Thema ein geeignetes Buch gibt? Großartig ist auch, wie viele Menschen in eben dieser Branche nun einen neuen Weg gefunden haben, sich beruflich zu verwirklichen, selbstständig zu machen und nun das machen können, was ihnen wirklich Spaß macht.

 

Aus der Vielfalt entsteht die Kraft

 

Auch die verschiedenen Yogastile möchte ich hier loben. Wenn ich Freunde oder Bekannte zum Yoga bringe, kann ich ihnen eine Bandbreite von Stilen vorschlagen, die es auszuprobieren gilt. Yoga ist dir zu sanft? Dann geh ins Power Yoga. Du möchtest eigentlich nur runterkommen und Fünfe gerade lassen? Try Yin Yoga. Ich selber bin offen für alle Stile und passe mein Energieniveau dem Angebot der Online-Yoga-Portale an. Keine Zeit und irgendwie ausgelaugt? Ok, dann klicke ich eben auf „15 Minuten“, „Detox“ und „Morgenpraxis“ und genieße diese neue, durchaus praktische Praxis.

Wie oft fühle ich eine Wärme ums Herz, wenn ich auf Festivals den gesteigerten Zuwachs an Neulingen sehe, die noch etwas unsicher und doch neugierig von Stand zu Stand schlendern. Sie haben dieses gewisse Funkeln in den Augen, eine Mischung aus irgendwie-angekommen-sein und doch Ergriffenheit von dieser neuen Welt, die alle mit offenen Armen empfängt und in Savasana ein Stückchen mehr zu ihnen selbst schaukelt. Auch die vielen Lifestyle-Yogis: Sie vereinen ihr vielfältiges Interesse aus Kunst, Clubkultur oder was auch immer und verschmelzen ihre Vorlieben gekonnt und oft sehr ästhetisch mit ihrer anderen Leidenschaft: dem Yoga. Eine sinnliche Vinyasa-Flow-Einheit mit DJ vor Ort hat auch was. Wenn diese Einheit dann mit viel Hingabe durch einen schön designten Flyer kommuniziert wurde – für mich am liebsten natürlich auf den gängigen Medien Facebook, Instagram oder Twitter verbreitet – sage ich: Danke für die Mühe.

 

Ja, es ist verdammt noch mal schön, die Vielfalt der Yogis zu erleben

 

Und zu sehen, dass wir alle nur nach einem Weg suchen, hinderliche Muster und Wesenszüge loszuwerden, liebevoller im Umgang mit unseren Mitmenschen zu werden, mehr über das Leben herauszufinden, über uns selbst, das Gestern, Heute, Morgen und das, was danach noch auf uns zukommen möge. Ob wir nun nach Indien reisen und dort in einem Ashram meditieren, im Fitnesscenter auf den Trichter kommen, dass Yoga auch extrem anstrengend sein kann, von Kirtan-Konzert zu Kirtan-Konzert lauter die Mantren mitträllern. Jeder findet seinen Weg. Und Yogis, die „nur“ Asanas praktizieren, haben auch ihre Berechtigung. Denn Urteilen gibt es im Yoga nämlich nicht. Mitgefühl ist eines der obersten Gebote. Wenn wir das durch Yoga erfahren, ist es bis zu dem Gefühl der Einheit auch nicht mehr weit.

Hier möchte ich noch einmal den Anfang des Textes „Ganesha Deva“ meiner aktuellen Lieblingsband Srikalogy zitieren: „City Life, hustle and bustle, taxi cabs and street lights. But underneath, there is a constant strain, sustanding it all. And if you listen, you can kinda hear its’ whisper….Jai Jai  Ganesh, Ganesha Dev.“ Auch, wenn einige von uns um die Authenzität des Yoga bangen, bin ich davon überzeugt, dass Yoga die Kraft besitzt, seine Wahrheit nicht zu verlieren. Eine so subtile Macht der Veränderung, die wir alle bei so einfachen Übungen wie den Hüftöffnern allein erfahren dürfen, geht nicht verloren, weil vermeintlich nur an der Oberfläche gekratzt wird.

 

Habt Spaß auf euren Matten, umarmt das Leben und den Fortschritt und seid gut zueinander. BÄM BOOM! OM Shanti.

 

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