Die Mönche oder was wirklich frei macht
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Zwei fromme Mönche machten sich auf den Weg, um den Lehren des Buddhas zu lauschen. Beide waren noch jung, weshalb sie ihre Gelübde sehr ernst nahmen. Insbesondere die Gebote des Schweigens, des Mitgefühls und der Keuschheit waren ihnen absolut heilig. Sobald die Sonne aufging, verbrachten sie viele Stunden in tiefer Meditation. Bis die Sonne ihren Höhepunkt erreichte, schwiegen sie. Eines Morgens, nachdem die Mönche bereits ihre Rituale verrichtet hatten, gelangten sie an einen großen Fluss. Dort wartete eine junge Frau, die in der Blüte ihrer Schönheit stand. Aber aufgrund der starken Strömung hatte sie Angst, den Fluss zu durchqueren. Die Mönche wandten die Augen ab von dem verführerischen Bild, das sich ihnen bot. Sie wollten gerade in das brusthohe Wasser steigen, als sie die hübsche Frau unter Tränen anflehte: „Liebe Brüder, bitte helft mir! Meine Eltern sind gestorben, und die einzigen Verwandten, die ich noch habe, leben auf der anderen Seite des Flusses. Könnt ihr mir helfen, hinüberzukommen?“ Die Mönche sahen sich an. Sie sprachen kein Wort, denn es war noch Schweigezeit. Dann gingen sie wortlos weiter zum Fluss. Das Mädchen aber lief ihnen hinterher und flehte sie an, ihr zu helfen. Als sie bereits einige Schritte im Wasser waren, sahen sich die Mönche nochmals an. Der eine schüttelte entschlossen den Kopf, der andere lächelte und schloss kurz die Augen. Dann drehte er sich der jungen Frau zu und hob sie auf seine Schultern. Unbeschadet erreichten sie das andere Ufer. Der Mönch, der das Mädchen getragen hatte, setzte sie ab und richtete seinen Blick sofort auf den Weg vor ihnen. Unter Dankesbezeugungen der jungen Frau zogen die frommen Männer schweigend weiter, denn es waren noch zwei Stunden bis zum Mittag. Als schließlich die Sonne an ihrem höchsten Punkt stand, endete die Schweigezeit, und der eine Mönch sprach zum anderen: „Bruder, wie willst du es rechtfertigen, dass du dein Gelübde gebrochen hast, keine Frau zu berühren? Vielleicht willst du dich auf das Gebot des Mitgefühls berufen, doch hätte die junge Frau wohl auch ohne uns bald Hilfe gefunden.“ Da lachte der andere und sprach: „Halte ein, Bruder! Ich habe das Mädchen nur kurz über den Fluss getragen und es am anderen Ufer abgesetzt. Du aber trägst es immer noch mit dir herum!“
Handeln nach Prinzipien
Hättest du die hübsche junge Frau am Fluss stehen gelassen? Es wäre dein gutes Recht gewesen, denn schließlich hast du ein Gelübde abgelegt. Aber zugleich wäre das auch eine sehr wörtliche Auslegung der Regel gewesen, die im Ursprung sicher eine andere Absicht hatte. Ich halte das für ein riesiges Problem unserer Zeit. Es ist vermeintlich einfach, sich damit zu rechtfertigen, dass man nach dem Gesetz handelt. Ob ich mich dann als Investmentbanker, Waffenhändler oder Lobbyist der Pharmaindustrie unethisch benehme, spielt bislang eine untergeordnete Rolle. Die Mönche in der Geschichte legten das Gelübde der Keuschheit ab. Hier geht es um den Wert der Enthaltung, um die Abkehr vom Sinnlichen. Wertvorstellungen sind abstrakt. Sie geben eine grobe Richtung vor, aber nicht die exakte Route. Einer der beiden Mönch leitet aus diesem schwer greifbaren Wert eine logisch nachvollziehbare Regel ab: Keine Frauen berühren. Buddha hat sicher nie gemeint, dass Mönche keine Frauen berühren dürfen. Genauso wenig haben Jesus oder Mohammed wohl gewollt, dass ihre Anhänger in heilige Kriege ziehen oder aus ihren Geboten Gesetze machen sollen. Wenn aus abstrakten Werten konkrete Prinzipien, Regeln und Gesetze werden, schränkt das unsere Handlungsfreiheiten ein. Wenn wir diesen Regeln blind folgen, führt das dazu, dass wir die eigentlichen Absichten dahinter vergessen. Schon eine Regel wie „du sollst nicht töten“ ist kompliziert, wenn wir an Notwehr, Todesstrafe oder Abtreibung denken. Sich nach einem Wert wie Nächstenliebe zu richten, ist da schon einfacher. Aber es erfordert Selbstverantwortung, diesen Wert in sein Handeln zu übersetzen. So sehr wir Spielregeln für das Zusammenleben in unserer komplexen Welt benötigen, so sehr ist jeder, selbst ein frommer Mönch, für seine Handlungen selbst verantwortlich. Niemand sollte sich auf Prinzipien berufen, wenn er den zugrunde liegenden Wert nicht für richtig hält. Immer wenn ich jemanden hören sage, dass er „das aus Prinzip nicht macht“, dann klingeln bei mir alle Alarmglocken. Mit so einer Aussage ist jegliche Offenheit dahin.Handeln nach Werten
Ein für mich wichtiger Wert ist Autonomie. Ein Prinzip zur Wahrung meiner Unabhängigkeit könnte dann lauten, keine festen Bindungen einzugehen oder mich nicht anstellen zu lassen. Aber solche starren Prinzipien würden meine Freiheit einschränken. Wenn ich meinen Werten folge, dann passiert das aus einer inneren Motivation heraus. Dann macht mich das frei. Regeln und Prinzipien, die ich mir selbst auferlegt oder jemand anderes geschrieben hat, engen mich ein. Jetzt gibt es natürlich auch Regeln, die dem Allgemeinwohl dienen, was unter die kollektive Freiheit fällt. Beispielsweise das Rauchverbot in Restaurants, welches Raucher einschränkt, alle anderen jedoch freier macht. Für den kollektiven Gewinn an Freiheit macht es durchaus Sinn, Einschnitt zu machen. Dann gibt es da noch die individuelle Freiheit, die für jeden von uns komplett unterschiedlich ist. Was brauche ich, um wirklich frei zu sein? Es ist zunächst das Nichtvorhandensein von Zwängen. Ein weg von äußeren Faktoren wie Religion, Arbeit, Beziehungen, Besitz, Verträgen, Schule oder Steuern. Aber auch inneren Blockaden wie Glaubenssätzen, Erwartungshaltungen oder Prinzipien, die meine Freiheit massiv einschränken können. Wenn ich mich von all diesen Zwängen befreit habe, entsteht eine ziemliche Leere. Die große Frage ist nun, wo will ich hin mit all der Freiheit? Ich hatte auf diese Frage lange Zeit genauso wenig eine Antwort wie die meisten Menschen, mit denen ich mich unterhalte. Die Weg-von-Motivation basiert immer auf Angst, es ist ein negativer Trieb, ein Freistrampeln. Das Hin-zu-Etwas basiert auf Liebe, auf einer bewussten Entscheidung, einer freiwilligen Verpflichtung zu Etwas. Weißt du, wer wirklich frei ist? Ein kleines Kind, wenn es ein oder zwei Jahre alt ist. Wenn es noch nicht gelernt hat, wie es sich verhalten soll und was es alles braucht, um glücklich zu sein. Erst danach wird die soziale Maske des Kindes immer größer, bis die antrainierte Konditionierung der inneren Stimme überwiegt. Willkommen im Gefängnis! Freiheit bedeutet für mich, nicht lügen zu müssen. Ich fühle mich frei, wenn ich der sein darf, der ich bin. Ohne Maske, ohne Scham, ohne Erwartungen erfüllen zu müssen, ohne Zweifel und Angst. Dann bin ich wirklich frei.Als Podcast anhören
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