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Das Januar-Kind
Überdurchschnittlich viele Profisportler sind in den ersten Monaten des Jahres geboren. Dass diese den Durchbruch geschafft haben, hat weniger mit dem Sternzeichen zu tun, sondern mit dem Stichtag für Jugendmannschaften, der meist der 1. Januar eines Jahres ist. Mehr als die Hälfte der deutschen Fußballnationalspieler, 12 der 23 Spieler aus dem Kader von 2019, sind in den Monaten von Januar bis April geboren. Nur 2 der 23 Profifußballer kam in den Monaten Oktober bis Dezember zur Welt. Im Kader der U19 Nationalmannschaft für 2019 stehen 20 Spieler, von denen 13 im Januar, Februar oder März geboren wurden. Nur 4 von 20 Spielern wurden in der zweiten Jahreshälfte geboren. Genau die gleiche Tendenz findet sich bei den Frauen und vielen anderen Sportarten weltweit. Stelle dir zwei sechsjährige Kinder vor. Das eine ist im Januar geboren, das andere im Dezember. Das Januar-Kind ist in der Regel größer und weiter in seiner Entwicklung. Es schafft den Sprung in die Auswahlmannschaft eher, da es den anderen Kindern körperlich überlegen ist. Dieses „talentierte“ Kind wird jetzt über Jahre hinweg gefördert. Es bekommt die 10.000 Stunden Training, die in vielen Studien als Zeitraum genannt wird, um eine Fähigkeit zu meistern. Es bestreitet mehr Spiele, hat bessere Trainingsbedingungen, professionelle Trainer und Mitspieler. Damit erreicht dieses Kind einen Vorsprung, den „untalentierte“ Gleichaltrige nie wieder aufholen können. Ähnlich ist es mit dem Einschulungsalter, das zwischen fünf und sieben Jahren liegt. Es ist ganz normal, dass es für jüngere Kinder schwerer ist, sich gegen die älteren Klassenkameraden durchzusetzen. Auch hier werden irgendwann die „leistungsstärkeren“ Schüler gefördert. Neben anderen Faktoren liegt der Grund darin, dass sie in ihrer sozialen und körperlichen Entwicklung ein paar Monate Vorsprung haben. Der kleine Unterschied bei der Einschulung verblasst nicht über die Zeit, sondern verstärkt sich.
Der Matthew-Effekt
Inspiriert zu dieser Geschichte hat mich Malcom Gladwell mit seinem lesenswerten Buch „
Outliers“. Entdeckt wurde das relative Alter bei Sportlern allerdings nicht von Gladwell, sondern durch den kanadischen Psychologen Roger Barnsley. Er stellte fest, dass der mit Abstand häufigste Geburtsmonat für Profisportler im Eishockey der Januar ist, gefolgt von Februar und März. Der Matthew-Effekt, oder im deutschen Matthäus-Effekt, erklärt dieses Phänomen, das Soziologe Robert Merton schon im Jahr 1968 beschrieb. Der Name findet seinen Ursprung in der Bibel, in der es unter Matthäus 25:29 heißt:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ Merton bezieht sich im Ursprung seiner Arbeit darauf, dass bekannte Autoren wissenschaftlicher Veröffentlichungen deutlich öfter zitiert werden, als unbekannte Wissenschaftler. Diese positive Verstärkung sorgt dafür, dass es bekannte Wissenschaftler leichter haben, zu mehr Ruhm und Anerkennung zu kommen. Die Negativspirale sorgt dafür, dass unbekannte Wissenschaftler bei der Verleihung des Nobelpreises schlechte Karten haben. Der Effekt lässt sich auch auf unsere Fußballspieler, Künstler oder Millionäre beziehen. Für Schüler oder generell Lernende bedeutet es, dass Menschen mit einem größeren Vorwissen deutlich mehr Wissen aus einem Lernangebot ziehen. Die bereits vorhandenen Ungleichheiten werden also durch den Unterricht verstärkt. Die Schlauen werden schlauer, genauso wie die Reichen immer reicher werden. Das Ergebnis ist eine Pareto-Verteilung. 20% der Menschen besitzen 80% des Reichtums. Erfolg ist kein Hexenwerk, sondern die Ansammlung von kleinen Vorteilen. Natürlich spielen bei der Entwicklung eines Menschen auch sein Talent, ein guter familiärer Hintergrund, der Intelligenzquotient, viel Disziplin und etwas Glück eine Rolle. Aber das Geburtsdatum und die Umstände, unter denen jemand aufwächst, erscheinen ebenso wichtig wie gute Gene und harte Arbeit.
Das Vergleichen
Wenn du das nächste Mal einen erfolgreichen Menschen siehst, dann schaue dir doch mal sein Geburtsdatum an und denke darüber nach, unter welchen Bedingungen er oder sie aufgewachsen ist. Vielleicht hat dieser Mensch mitten in einer Wirtschaftskrise studiert und konnte sich nach dem Abschluss mitten im Aufschwung die Jobs quasi aussuchen. Vielleicht hat ihm oder ihr das Geburtsdatum dabei geholfen, fehlende Talente durch körperliche Vorteile im jungen Alter auszugleichen. Was ist also die Moral dieser Geschichte? Es ist nicht immer so, wie es auf den ersten Blick scheint. Wenn du von dieser Geschichte eine einzige Sache im Kopf behalten solltest, dann, dass jeder von uns unter einzigartigen Bedingungen aufgewachsen ist. Sogar ein unwichtig erscheinender Faktor wie das Geburtsdatum kann den Unterschied machen. Genau deshalb solltest du dich nie direkt mit anderen Menschen vergleichen. Solche Vergleiche führen dazu, dass wir uns in ein lebenslanges Wettrennen begeben, dass wir nicht gewinnen können.
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