Das Glückskind oder was wir aus vermeintlichen Krisen lernen können

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24.03.2023 00:00:00

Das Glückskind oder was wir aus vermeintlichen Krisen lernen können

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Eine alte Geschichte aus dem Taoismus erzählt von einem Bauern, der sein Leben lang hart auf dem Feld arbeitete. Als eines Tages sein Pferd davonlief, kamen die Nachbarn zu ihm und sprachen voller Mitleid ihr Bedauern aus. Der Bauer aber zuckte nur mit den Schultern und erwiderte: „Wer weiß, ob das Pech war“. Am nächsten Morgen kehrte das Pferd völlig unerwartet zurück. Es kam nicht allein, sondern hatte drei weitere, wilde Pferde im Schlepptau. „Was für ein Segen“, frohlockten die Nachbarn, die dieses Geschenk des Himmels kaum fassen konnten. „Wer weiß, ob das Glück war“, entgegnete ihnen der Bauer. Am Folgetag versuchte der Sohn des Bauern, eines der Wildpferde zu zähmen. Bei dem Versuch wurde er jedoch abgeschmissen und brach sich seinen Arm. Wieder bedauerten ihn die Nachbarn für diese schicksalhafte Fügung. Ohne die Miene zu verziehen, sagte er: „Wer weiß, ob das Pech war“. Am kommenden Tag kam das Militär ins Dorf geritten, um junge Männer für einen bevorstehenden Krieg einzuberufen. Sie hielten auch am Haus des Bauern, aber als sie den gebrochenen Arm seines Sohnes sahen, zogen sie verärgert weiter. Die meisten Nachbarn mussten ihre Kinder der Armee überlassen. Sie konnten nicht fassen, durch welch glücklichen Zufall der Bauer seinen Sohn behielt. Er aber zuckte wieder nur mit den Schultern und sagte: „Wer weiß, ob das Glück war“.
 

Das Loslassen

Im Taoismus und Buddhismus wird dieses Loslösen von den eigenen Gefühlen als Zen verstanden. Ein Zustand, der nicht Gleichgültigkeit bedeutet, sondern in dem sich die Perspektive auf das Leben vergrößert. Der Bauer hat erkannt, dass er nicht alles beeinflussen kann. Er entscheidet lediglich, wie er darauf reagiert. In der westlichen Welt haben wir die Angewohnheit, Geschehnisse mit einem Label zu versehen. Dinge sind gut oder schlecht, schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Dieses Schubladendenken ist schwierig, denn gut und schlecht sind nicht absolut, falsch und richtig unterscheiden sich je nach Betrachter. Diese Paare sind Zustände auf ein und derselben Skala. Sie widersprechen einander nicht, sondern ergänzen sich. Glück und Leid, Liebe und Herzschmerz, diese Ausprägungen eines Gefühls bedingen sich gegenseitig. Du kennst die Geschichten von Lotteriegewinnern, die nach dem großen Los nur kurze Zeit glücklich sind, bevor sie einen Tiefpunkt erreichen. Niemand ist immer nur auf der einen Seite der Skala. Was wir steuern können, sind die Ausschläge und wie sehr wir uns daran festhalten. Für mich mag das plötzliche Gewitter schlecht sein, für den Bauern aber ist es ein Segen. Ob ein Ereignis gut oder schlecht ist, hängt einzig von meinen Maßstäben ab. Das Wetter ist nicht für meine Laune verantwortlich. Positive oder negative Gefühle entstehen immer durch Bewertungen, bevor sie zu Gedanken und Handlungen werden. Auch wenn es um weniger banale Dinge wie Krankheiten, Trennungen oder den Verlust des Arbeitsplatzes geht, haben wir verschiedene Möglichkeiten, diese vermeintlichen Krisen zu betrachten. Das Leben kann als ungerecht angesehen werden oder ich wage es, mich zu fragen, was ich aus dieser Situation lernen darf.  

Vermeintliche Krisen

Sicher kennst du Menschen, die gestärkt aus Krankheiten hervorgegangen sind. Oft sind sie ein Versuch des Körpers, uns auf einen ungesunden Lebensstil hinzuweisen. Wir können sie bekämpfen oder als Hinweis verstehen. Ich kenne genug Menschen mit chronischen Erkrankungen, die in der Krankheit Mut finden uns sagen: „Jetzt erst recht.“ Was ist mit Trennungen? Bedeuten sie nicht einfach, dass zwei Menschen, die in der Vergangenheit gut zueinander gepasst haben, sich nun nicht mehr bereichern? Wir haben die Wahl, die gemeinsame Zeit als Geschenk zu sehen oder uns von Trauer, Eifersucht und Rachegelüsten leiten zu lassen. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Krisen oder eine nicht bestandene Prüfung können Chancen für einen Neuanfang sein. Mir haben Kündigungen und nicht zuletzt ein richtig deprimierendes Vorstellungsgespräch neue Türen geöffnet, für die ich heute unendlich dankbar bin. Wenn wir proaktiv handeln, folgt einer geschlossenen Tür immer eine neue Möglichkeit. Das bedeutet nicht, dass dir gleichgültig sein sollte, welche Konsequenzen dein Handeln mit sich bringt. Du kannst und solltest dein Bestes tun. Nur solltest du nicht am Ergebnis haften. Es geht nicht darum, am Ziel anzukommen, sondern darum, was wir auf dem Weg lernen und was wir dann aus dieser Erfahrung machen. Natürlich braucht es Abstand, um in einer Krise ein Geschenk zu sehen. Zunächst überwiegen Schmerz, Angst und Trauer. Alle diese Gefühle wollen gefühlt werden. Wer sich nicht langfristig davon beherrschen lässt, kommt den Gründen dafür auf die Spur. Er kann sich fragen, warum das Leben solche Zeichen sendet, warum es ihn vor solche Herausforderungen stellt. Wir können sie annehmen und daraus lernen oder ihnen aus dem Weg gehen und immer wieder mit den gleichen Konsequenzen leben.  

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Themen: Leben