Cannabis-Legalisierung: Bundesländer stellen sich quer

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08.03.2024 19:04:39

Das deutsche Cannabisgesetz gerät auf der Zielgeraden noch einmal ins Stolpern. Zwar hatte es der Bundestag am 23. Februar mit 407 zu 226 Stimmen beschlossen. Und eigentlich ist es nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat. Aber vor allem Justizminister der Länder haben Bedenken geäußert. Es scheint wahrscheinlich, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anruft. Das könnte das Inkrafttreten des Gesetzes beispielsweise vom 1. April auf den 1. Oktober verschieben.

Kritiker des Gesetzes sehen gar eine Chance, die Entkriminalisierung von Cannabis in Deutschland im letzten Moment noch zu verhindern.

Worum dreht sich die Debatte und wie geht es nun weiter?

Herausforderungen und Bedenken der Bundesländer

Die Herausforderungen und Bedenken der Bundesländer drehen sich vor allem die praktische Umsetzbarkeit der gesetzlichen Neuerungen.

Ein zentraler Punkt ist die im Gesetz vorgesehene Amnestie für Personen, die wegen Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis verurteilt worden sind. Die Länder befürchten eine erhebliche Belastung der Strafjustiz, da sie Tausende von Akten manuell daraufhin überprüfen müssten, ob und welche Verurteilungen rückwirkend aufgehoben werden können.

Diese logistische Herausforderung ist nach Einschätzung einiger Bundesländer bis zum ursprünglich geplanten Inkrafttreten am 1. April 2024 nicht zu bewältigen.

Verschärft wird die Problematik dadurch, dass sich eine Vielzahl von Verfahren noch in der Vollstreckung befindet und die betroffenen Verurteilten möglicherweise sofort aus der Haft oder dem Maßregelvollzug entlassen werden müssten. Dies betrifft insbesondere Taten, die nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar waren und nach dem CanG nicht mehr strafbar oder nur noch mit einer Geldbuße bedroht sind. Diese Regelung führt zu einer gerichtlichen Neufestsetzung der Strafen. Das birgt die Gefahr der Rechtswidrigkeit und damit der Entschädigungspflicht, wenn die Justiz den Anforderungen nicht gerecht werden kann.

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum CanG auf die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Regelung hingewiesen. Die Notwendigkeit der unverzüglichen Entlassung der betroffenen Verurteilten aus der Haft oder dem Maßregelvollzug könnte bei zu langsamer Umsetzung gar strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Amtsträger nach sich ziehen. Hinzu kommt das Problem der Identifizierung der einschlägigen Verfahren, vor allem weil sie pauschal nach § 29 BtMG erfasst sind. Deshalb müsste jeder Fall sorgfältig manuell überprüft werden.

Die Justizministerien einiger Bundesländer, darunter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, haben im Vorgriff auf das Gesetz bereits damit begonnen, die Akten zu sichten und die Zahl der möglicherweise betroffenen Verfahren zu ermitteln. Die Zahlen sind beachtlich und reichen von mehreren Tausend bis zu über 19.000 Verfahren in Baden-Württemberg.

Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) äußert die Befürchtung, dass die Justiz mit der geplanten Amnestie in rund 16.000 Fällen überfordert sein könnte und warnt davor, dass der Bund die Justizbehörden der Länder sehenden Auges in eine solche Situation laufen lässt.

Die Diskrepanz zwischen dem politischen Anspruch auf Bundesebene und den praktischen Umsetzungsschwierigkeiten auf Länderebene zeigt sich auch in den Reaktionen einzelner Landespolitiker. So kritisiert der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen), dass die verbleibende Zeit nicht ausreiche, um die notwendigen Regelungen zum rückwirkenden Straferlass umzusetzen.

Zitate zum Thema

„[Ein Aufschub des CanG] würde zu einer anhaltenden Verfolgung und Kriminalisierung von Konsumenten führen. Eine weitere Verzögerung ist nicht hinnehmbar und könnte die Umsetzung des Gesetzes insgesamt noch kippen.“
„Der Bund hätte das alles besser regeln können, die Länder haben schließlich lang und deutlich genug auf die großen Herausforderungen bei der Umsetzung hingewiesen.“
„[Ich appeliere] dringend an die Ampelkoalition, die geplante sofortige Amnestie für Verurteilte aus dem Cannabisgesetz zu streichen.“
„Eine weitere Verzögerung durch Anrufung des Vermittlungsausschusses ist unangebracht. “
„Die Justiz steht in der Verantwortung, Unrecht dort zu beseitigen, wo es vorliegt. Taten, die künftig nicht mehr strafbar sind, weiter zu vollstrecken, ist ungerecht.“
„Für eine effektive Prävention benötigen wir ausreichend Vorbereitung und die nötigen Kapazitäten. Mir bereitet zudem Sorgen, dass das geplante Vorhaben bei Ländern und Kommunen einen hohen Aufwand bei den nötigen Kontrollen verursacht, personell und finanziell.“
„Wir fordern die Landesregierungen deshalb auf, ihren Widerstand gegen das CanG aufzugeben und kooperativ an der Umsetzung und Einführung der neuen Regeln mitzuarbeiten!“
„Mittelfristig ist mit einem deutlich geringeren Aufwand für die Strafverfolgung zu rechnen. Eine Verzögerung des CanG hingegen würde zu Tausenden neuer Fälle unnötiger Kriminalisierung und damit ebenfalls unnötiger Belastung für die Strafverfolgungsbehörden führen.“
„Der Freistaat Sachsen wird am Freitag im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses stimmen. Mein Ziel ist es, dass dieses Gesetz niemals wieder aus dem VA herauskommt.“

Debatte zu Lösungen und Alternativen

Wie geht es nun weiter? Ein Vorschlag ist die Verschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes, beispielsweise vom 1. April auf den 1. Oktober. Dies würde der Justiz zusätzliche Zeit geben, sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten und die notwendigen Überprüfungen und Anpassungen vorzunehmen. Unklar ist allerdings, was passiert, sollte dieser Zeitraum am Ende nicht ausreichen.

Darüber hinaus wird die Möglichkeit einer gestaffelten Einführung des Gesetzes erwogen, bei der bestimmte Aspekte des Gesetzes zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiviert werden. 

Ein weiterer diskutierter Ansatz ist die Anpassung der Amnestieregelung. Dies könnte bedeuten, dass der rückwirkende Straferlass entweder ganz abgeschafft oder in seiner Anwendung eingeschränkt wird. Einige Länder schlagen etwa vor, die Vollstreckung von Strafen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes verhängt wurden, unberührt zu lassen, also weiterhin zu vollstrecken. Diese Lösung würde den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren und gleichzeitig sicherstellen, dass die Entkriminalisierung der Neufälle voranschreitet. Zugleich würde das allerdings Situationen provozieren, in denen etwa eine Person einen Tag vor Inkrafttreten des Gesetzes erwischt wird und nach den bisherigen Regelungen verurteilt wird, während das 24 Stunden später nicht mehr der Fall gewesen wäre.

Die mögliche Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat zeigt zugleich eine Spaltung der politischen Landschaft. Einige Länderminister, wie z.B. Petra Köpping (SPD) aus Sachsen, fordern umfassende Änderungen des Gesetzes, insbesondere hinsichtlich der zulässigen Mengen und der Abstände zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, um den Jugendschutz zu gewährleisten. Es gibt ebenso Stimmen, die eine völlige Neukonzeption des Gesetzentwurfes fordern.

Auch in der Öffentlichkeit zeigt sich ein gemischtes Bild. Einige Bürgerinnen und Bürger sowie Organisationen, insbesondere aus dem Bereich der Suchthilfe und Drogenpolitik, begrüßen die Entkriminalisierung und die Schaffung legaler Erwerbsmöglichkeiten. Zugleich gibt es Bedenken hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf den Jugendschutz und die öffentliche Sicherheit. Auch die oben dargestellte Kritik einiger Landesjustizminister, die vor einer Überlastung der Justiz warnen, hat in der öffentlichen Diskussion Widerhall gefunden.

Innerhalb der Ampelkoalition führen die unterschiedlichen Auffassungen zu Spannungen, wie der öffentliche Streit zwischen SPD- und Grünen-Politikern über die Verantwortung für die Verzögerungen zeigt.

Frustration bei Interessenvertretern

Interessensvertreter wie der Deutsche Hanfverband zeigten sich frustriert von den aktuellen Entwicklungen und versuchen die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu verhindern. Durch eine Verschiebung des Gesetzes um ein halbes Jahr würden bundesweit weitere 90.000 Strafverfahren gegen Cannabiskonsumenten anfallen, die anschließend wiederum durch die Justiz bearbeitet werden müssten, erklärte der Hanfverband.

Die Neue Richtervereinigung erklärte: „Eine gesetzliche Regelung zur Straffreiheit des Besitzes und Anbaus von Eigenkonsummengen war seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 geboten. Die vom Bundestag beschlossene Neuregelung des Umgangs mit Cannabis setzt diesen Regelungsauftrag nach 30 Jahren endlich um. Eine weitere Verzögerung durch Anrufung des Vermittlungsausschusses ist unangebracht. “

Der Law Enforcement Against Prohibition Deutschland e.V. stellte einige der Kritikpunkte in Frage: „Wir bezweifeln die juristische Schlüssigkeit der von Minister Limbach für die von ihm und anderen angestrebte Verschiebung des Inkrafttretens des CanG angeführten Argumente, insbesondere die Behauptung, Justizangehörige würden sich selbst strafbar machen, wenn die Aussetzung der Vollstreckung nicht zum 01.04.2024 erfolgt.“

Ausblick und mögliche Szenarien

Die Aussichten für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland bleiben angesichts der aktuellen Entwicklungen und der vielschichtigen Debatte ungewiss. Die Diskussionen und die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat leiten eine kritische Phase im Gesetzgebungsprozess ein.

Im Folgenden zusammengefasst einige mögliche Szenarien, die sich aus der aktuellen Situation ergeben könnten:

  1. Verschiebung des Inkrafttretens: Angesichts der Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit und der Belastung der Justiz erscheint eine Verschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes als ein wahrscheinliches Szenario. Dies würde den Bundesländern mehr Zeit geben, sich auf die Anforderungen des neuen Gesetzes vorzubereiten und könnte helfen, einige der angesprochenen praktischen Herausforderungen zu bewältigen.
  2. Umsetzung mit Änderungen: Der Vermittlungsausschuss könnte zu Änderungen des Gesetzes führen, insbesondere im Hinblick auf die Amnestieregelungen. Offen ist, ob auch andere Regelungen wie die erlaubten Besitzmengen und die Regelungen zum Mindestabstand zu Kinder- und Jugendeinrichtungen erneut auf den Prüfstand kämen. Solche Änderungen könnten darauf abzielen, den Bedenken der Länder und anderer Interessengruppen Rechnung zu tragen und gleichzeitig den Kern der Legalisierungsabsicht zu erhalten.
  3. Beibehaltung des Status quo: Weniger wahrscheinlich, aber immer noch möglich ist, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form und zum geplanten Zeitpunkt in Kraft tritt, falls der Vermittlungsausschuss keine Einigung erzielt oder die Änderungsvorschläge im Bundesrat nicht die erforderliche Mehrheit finden. Damit wären allerdings die Bedenken hinsichtlich der Überlastung der Justiz und der Praktikabilität nicht ausgeräumt.
  4. Vollständige Überarbeitung oder Rücknahme des Gesetzes: Obwohl dieses Szenario als unwahrscheinlich gilt, könnte eine anhaltende politische Uneinigkeit oder eine grundlegende Neubewertung der gesetzgeberischen Prioritäten zu einer vollständigen Überarbeitung oder sogar Rücknahme des Cannabisgesetzes führen. Dies könnte jedoch zu einem erheblichen politischen Gesichtsverlust der Beteiligten führen und die Debatte um die Cannabispolitik in Deutschland auf unbestimmte Zeit vertagen.

Schlusswort

Das vom Bundestag beschlossene Cannabisgesetz war bereits eine stark verkleinerte Version der ursprünglichen Pläne der Ampelkoalition. Sie hatte noch den Verkauf von Cannabis in lizensierten Fachgeschäften in Aussicht gestellt, so wie man es etwa aus Kanada und vielen US-Bundesstaaten bereits kennt. Diese Pläne aber waren recht schnell an der EU gescheitert.

Stattdessen hatte die Regierung ein „Zwei-Säulen-Modell“ vorgestellt. Eine Säule umfasst dabei den privaten Besitz und Anbau von Cannabis sowie die Cannabis Clubs („Anbauvereinigungen“). Die zweite Säule sieht vor, den freien Verkauf von Cannabis in Modellregionen in Deutschland zu erproben und wissenschaftlich zu begleiten. Um diesen Teil der Pläne ist allerdings bereits sehr ruhig geworden.

Themen: Cannabis