Wenn Bier in Deutschland so reguliert wäre wie Cannabis

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01.03.2024 12:00:00

Ab 1. April 2024 wird der private Besitz und Anbau von Cannabis in Deutschland straffrei, solange bestimmte Regeln und Obergrenzen eingehalten werden. Ab 1. Juli kommen die Cannabis Clubs („Anbauvereinigungen“) hinzu. Der offene Verkauf in Ladengeschäften ist hingegen auf unbestimmte Zeit verschoben.

Für Laien ist nicht einfach zu verstehen, wie strikt und sinnvoll die Regelungen im kommenden Cannabisgesetz (CanG) sind. Um das deutlicher zu machen, ziehen wir den Vergleich zu einem anderen Rauschmittel, mit dem sich viele Deutsche bestens auskennen: Bier.

Dafür stellen wir uns ein Paralleluniversum vor, in dem die Rollen von Cannabis und Bier in Deutschland exakt vertauscht sind.

Hier unser Bericht.

Das Zwei-Säulen-Modell der Bierlegalisierung

Die amtierende Ampelkoalition hat sich daran gemacht, Alkohol unter bestimmten Bedingungen sowie unter strikten Grenzen und Vorschriften zu legalisieren.

Der Grund: Trotz des jahrzehntelangen Alkoholverbots wird fleißig weiter konsumiert. Die Produkte kommen dabei aus fragwürdigen Quellen. Oft ist der Alkoholgehalt nicht klar und die Getränke können gefährliche Beimengungen enthalten. Drastische Folgen von Erblindung bis hin zum Tod sind möglich.

Erst im vorherigen Jahr war in Bayern eine Untergrundorganisation aufgeflogen, die unter dem Namen „Oktoberfest“ wochenlange Trinkgelage veranstaltet hatte. Die Polizei zeichnete ein Bild des Schreckens von diesen Events: Erbrechen und Bewusstlosigkeit waren offenbar an der Tagesordnung. Manche Teilnehmer landeten gar im Krankenhaus. Es soll zu Schlägereien und Vandalismus gekommen sein.

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Die bayerische Polizei konnte im vergangenen Jahr die Rädelsführer der „Oktoberfest“-Mafia dingfest machen.

Besonders problematisch ist bislang der Jugendschutz, denn die illegalen Bierdealer nehmen keine Rücksicht auf Altersbeschränkungen.

Harter Alkohol wie Wein bleibt verboten

Das Biergesetz (BierG) soll nun einen Rahmen schaffen, um Getränke mit geringem Alkoholgehalt von nicht mehr als 5% zu legalisieren. Harter Alkohol wie Wein oder gar Spirituosen bleiben wegen ihrer erheblichen Suchtgefahr, ernsten Gesundheitsschäden und möglichen gesellschaftlichen Folgen weiterhin verboten.

Der Gesetzentwurf betont, dass es den Jugendschutz stärken will. Umfangreiche Aufklärungskampagnen zu den Gefahren des Biertrinkens sind geplant. Außerdem erhoffen sich die Politiker eine Entlastung von Polizei, Gerichten und Gefängnissen. Das bisherige Bierverbot sei gescheitert, heißt es in der Einführung zum Gesetz. Deshalb sei eine begrenzte Legalisierung von Bier die bessere Lösung, um die Qualität der Produkte („Reinheitsgebot“) und die Abgabe zu kontrollieren.

Die ursprüngliche Idee, den Bierverkauf in spezialisierten Geschäften oder über Apotheken zu erlauben, hat die Bundesregierung zunächst fallengelassen. Diese Pläne kollidierten mit dem Europarecht und internationalen Verträgen. Forderungen von Interessenverbänden nach kommerzieller Bierherstellung („Brauereien“) und dem Ausschank in lizensierten Gaststätten („Kneipen“) wurden bereits vorher als zu weitreichend abgelehnt.

Deshalb hat sich die Bundesregierung nun auf ein Zwei-Säulen-Modell geeinigt:

  • Säule 1: Der private Besitz und Genuss von Bier ist unter bestimmten Bedingungen künftig erlaubt. Interessierte brauen dazu ihr eigenes Bier oder schließen sich einem Bierclub („Brauvereinigung“) an.
  • Säule 2: Der Bierverkauf in lizensierten Ladengeschäften und Apotheken soll im Zuge von Modellregionen wissenschaftlich begleitet erprobt werden.

Die bestehenden Regelungen zu Herstellung und Vertrieb von Alkohol für medizinische und industrielle Zwecke bleiben von alldem unberührt.

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In der Szene sind Flaschen mit 0,33 Litern Bier beliebt.

Die Regelungen der ersten Säule im Biergesetz (BierG)

Zwar wird der Besitz und Genuss von Bier ab 1. April in Deutschland legalisiert. Allerdings gibt es zahlreiche wichtige Einschränkungen.

So beträgt die erlaubt Höchstmenge an Bier, die man zu Hause lagern  darf, 40 Liter. Das entspricht 5 Kisten Bier mit 0,33 Liter fassenden Flaschen – einer in der Szene beliebten Größe. Üblich ist allerdings die Lagerung in einem einzelnen „Bierfass“.

Wie aber kommt man legal an dieses Bier? Dafür gibt es ab 1. April zunächst nur eine Möglichkeit: selbst brauen. Wichtig ist, dass das selbstgebraute Bier in einem abschließbaren Raum gelagert wird, um Missbrauch durch Kinder und Jugendliche sowie Diebstahl zu verhindern. Außerdem darf das Bierbrauen die Nachbarn nicht belästigen. Für entsprechende Vorkehrungen wie eine umfassende Belüftung ist also zu sorgen. Interessenten dürfen die Zutaten fürs Brauen aus dem EU-Ausland einführen. Wichtig: Es darf nur einmal pro Jahr gebraut werden, nicht mehr. Die fünf Kisten Bier müssen also für ein Jahr reichen. Außerdem darf man zu keinem Zeitpunkt mehr Bier lagern als erlaubt. Es gibt keine Ausnahmen. 

Private Bierbrauer müssen dabei mindestens 18 Jahre alt sein und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Der Konsum ist streng geregelt. So ist es etwa untersagt, das selbstgebraute Bier an Dritte auszuschenken. Auch dürfen Minderjährige beim Biertrinken nicht anwesend sein, ansonsten drohen hohe Geldstrafen. Bierkonsum in der Öffentlichkeit und besonders in 100 Meter Sichtweite zu Kinder- und Jugendeinrichtungen ist ebenfalls untersagt und wird streng bestraft.

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Das gebraute Bier wird üblicherweise in „Fässern“ wie diesen gelagert. Ein Fass pro Haushalt und Jahr mit maximal 40 Liter Fassungsvermögen ist erlaubt.

Ab 1. Juli kommt eine weitere Möglichkeit des Erwerbs hinzu: Bierclubs („Brauvereinigungen“). Sie sind nicht-kommerzielle, eingetragene Vereine. Die Mitglieder verpflichten sich, das Bier gemeinsam herzustellen – ein langwieriger Prozess. Das Gebäude der Brauvereinigung muss gegen Einbruch gesichert sein und die Braugerätschaften dürfen nicht von außen einsehbar sein.

Das gemeinschaftlich gebraute Bier wird an Mitglieder ausgegeben. Der Club muss dazu detailliert dokumentieren, welche Biermengen an welche Mitglieder gehen. Das Bier wird in neutrale Behältnisse gefüllt und es ist ein Informationszettel beizulegen, der die Eckdaten des Biers wie etwa den Alkoholgehalt deklariert, auf die gesundheitlichen Gefahren hinweist und auf Hilfeeinrichtungen verweist.

Der Biergenuss in den Räumen des Bierclubs ist verboten. Minderjährige haben generell keinen Zutritt.

Die zweite Säule des BierG: Modellregionen

In einem zweiten Schritt hat die Bundesregierung geplant, den Verkauf von Bier in lizensierten Geschäften und Apotheken zu erproben. Dies soll in Modellregionen erfolgen und wissenschaftlich begleitet werden. Darüber erhofft sich die Regierung Einblicke in die Auswirkungen einer umfassenderen Legalisierung von Bier.

Einen Zeitplan für diese zweite Säule gibt es bislang nicht. Insofern stellt sich die Frage, ob dieser Teil des Projekts überhaupt umgesetzt wird.

Die Hoffnungen von Interessenvertretern, dass kommerzielle „Brauereien“ zugelassen werden, sind damit in weite Ferne gerückt. Auch der Ausschank von Bier in „Kneipen“ erscheint derzeit höchst unwahrscheinlich.

Kritik kommt von allen Seiten

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Vor allem bayerische Politiker stehen dem „flüssigen Rauschgift“ Bier kritisch gegenüber. Die gesundheitlichen Gefahren würden verharmlost.

Kritiker bezweifeln, dass das Biergesetz seine selbstgesteckten Ziele erreichen kann. Denn vor allem für Gelegenheitskonsumenten dürfte es weiterhin einfacher sein, Bier aus illegalen Quellen zu beziehen. Die Regeln rund um den Erwerb und Genuss von Bier seien zu streng und stigmatisierten Biertrinker, erklärte etwa der Deutsche Bierverband (DBV).

Immerhin aber werden passionierte Biertrinker nun nicht mehr allein für den Besitz des Getränks mit drakonischen Strafen belegt, wie das in der Vergangenheit üblich war. Allein der Besitz von Bier konnte etwa zum Führerscheinentzug führen, selbst wenn die Person nie alkoholisiert am Steuer erwischt wurde.

Andere kritisieren die Bierlegalisierung als Ganzes. Alkohol sei in jeder Menge gesundheitsgefährdend. Das Gehirn sei erst mit 25 Jahren ausgereift und das Mindestalter von 18 Jahren fürs Biertrinken deshalb zu niedrig angesetzt. Zudem fördere Alkohol aggressive und gefährliche Verhaltensweisen, die etwa am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr katastrophale Auswirkungen haben können.

Es sei unverantwortlich, dem „flüssigen Rauschgift“ den offiziellen Segen des Staates zu geben, erklärte beispielsweise die bayerische CSU. Es sei eine bekannte Einstiegsdroge. 

Anhang: Berechnung der Obergrenzen für den Bierbesitz im fiktiven BierG

Das Cannabisgesetz schreibt eine Höchstmenge von 50 Gramm Cannabis für die Lagerung im eigenen Zuhause vor. Wir haben uns für dieses Szenario gefragt: Welche Menge Bier entspricht wohl 50 Gramm Cannabis?

Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, da Alkohol und Cannabis sehr unterschiedlich wirken. Entsprechend können wir uns der Wahrheit nur annähern.

Hier unser Gedankengang:

Die Universität Düsseldorf schätzt, dass „regelmäßig Konsumierende“ an einem Konsumtag 0,7 Gramm Cannabis verbrauchen. 25 Gramm reichen in diesem Fall also für 71,4 Konsumtage.

Die Uni schätzt weiterhin, dass diese Konsumierenden etwa 120 Konsumtage pro Jahr haben. Das entspricht vereinfacht gesagt einem Konsum alle drei Tage. Und das wiederum bedeutet, dass die 50 Gramm für 214,2 Tage (3 x 71,4 = 214,2) ausreichen, also 30,6 Wochen.

Bei Alkohol können wir diese Zahl mit allgemeinen Empfehlungen für einen gemäßigten Konsum vergleichen. Eine Faustregel besagt: nicht mehr als 20 bis 24 Gramm reiner Alkohol pro Tag für Männer und die Hälfte für Frauen. 0,5 Liter Bier mit 5% Alkoholgehalt entspricht 20 Gramm. Mit anderen Worten: ein halber Liter Bier pro Tag für Männer sowie 0,25 Liter für Frauen, wobei außerdem zwei alkoholfreie Tage pro Woche empfohlen werden.

Diese Grenzwerte werden übrigens von Fachleuten wie etwa der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen als überholt angesehen, da aus ihrer Sicht jede Alkoholmenge gesundheitliche Schäden und Beeinträchtigungen hervorruft. Aber zum Zweck unseres Szenarios haben wir diese Zahlen herangezogen.

Wir ziehen nun die untere Grenzen der Empfehlungen heran: 0,25 Liter Bier pro Tag, 5 Tage pro Woche. Der Grund: Das Cannabisgesetz legalisiert zwar den Besitz und Genuss von Cannabis, will aber vermeiden, den Konsum zu fördern. Deshalb ziehen wir auch für Bier die konservativste Zahl heran.

Nehmen wir an, das fiktive Biergesetz würde eine ähnliche Höchstmenge wie das Cannabisgesetz anlegen, sollte diese Menge also ebenfalls für 30,6 Wochen ausreichen – mit 5 Konsumtagen pro Woche und je einem 0,25 Liter großen Bier. Das ergibt 38,25 Liter Bier. Sagen wir der Einfachheit halber 40 Liter.

Zum Vergleich: Ein üblicher Kasten Bier enthält 24 Flaschen à 0,33 Liter, also knapp 8 Liter. Somit wären 5 Kisten Bier die Höchstmenge, die man zu Hause lagern darf.

Ein wichtiger Unterschied allerdings bleibt: Bier wird gebraut, Cannabis wird geerntet. Während man die gebraute Menge Bier direkt beeinflussen kann, ist das bei Cannabis nur sehr begrenzt möglich. So sind für den Eigenanbau laut Cannabisgesetz zwar bis zu drei Pflanzen erlaubt, die aber werden sehr wahrscheinlich mehr als die 50 Gramm Cannabis abwerfen.

Und während man jederzeit neues Bier brauen kann, lassen sich die Marihuana-Pflanzen nur einmal im Jahr ernten. Deshalb haben wir fürs fiktive BierG die Regel hinzugefügt, dass nur einmal pro Jahr gebraut werden darf, um hier eine ähnliche Einschränkung zu schaffen.

Themen: Cannabis