Alltag und Veränderung: Warum Nichtstun keine Option ist
Innerer Dialog: Ein Blick auf die Uhr. 20.30 Uhr. Ich falle auf die Couch. Endlich zu Hause und Feierabend. Was habe ich heute eigentlich den ganzen Tag gemacht auf der Arbeit? Naja, auf jeden Fall wieder zu viel Kaffee getrunken. Eigentlich wollte ich heute noch mit Freunden etwas trinken gehen, aber ich bin einfach zu k.o. Nächste Woche sieht es besser aus. Und kochen? Nein, ich bestelle mir heute lieber was, mache es mir gemütlich und belohne mich nach dem langen Arbeitstag. Wenn ich wieder mehr Energie habe am Wochenende dann kümmere ich mich um meine Gesundheit und mache mal wieder Sport, aber heute geht’s echt nicht mehr … 05.30 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich bin irgendwie total gerädert. Heute ist erst Mittwoch. Naja, noch heute und morgen und dann ist schon wieder Freitag. Und so schlimm ist die Arbeit ja auch nicht, ich verdiene zumindest gut und kann mir davon meine schöne Wohnung leisten.
Wenn du nichts tust, entscheidet das Leben für dich
Kennst du das? Du willst seit Jahren mehr Sport treiben, wieder mal mehr mit deinen Freunden machen und dich mal wieder um dein Datingleben kümmern. Der 9-5 Job frisst dich irgendwie auf, raubt dir Energie. Irgendwie hast du dir das Erwachsenenleben ein wenig anders vorgestellt. Mit 33 wolltest du doch schon eine Freundin, evtl. eine Familie und einen guten Job, fit und vital durch die Welt flanieren. Die Realität weicht ein wenig von diesen Vorstellungen deines 16-jährigen Ichs ab: kleines Bäuchlein, schütteres Haar und manchmal zu müde um zu daten, trotzdem aber noch ganz gutaussehend für dein Alter. Könnte schlimmer sein. Passt schon. Geht es dir schlecht? Nein? Du bist eigentlich sogar ganz zufrieden mit dir und deinem Leben. Der innere Dialog könnte lauten „Naja, so ist eben das Leben“ oder „Alle anderen können das ja auch irgendwie“. Vielleicht hast du dir sogar schon mal kurz die Frage nach einer Alternative gestellt, diese aber schnell wieder verworfen, da ja irgendwie doch alles „ganz ok“ ist. "Gewohnheit, Sitte und Brauch sind stärker als die Wahrheit." - Voltaire Warum zwängen wir uns tagtäglich immer wieder in dasselbe Korsett, wenn wir doch eigentlich wissen, dass es sich ohne viel angenehmer lebt? Ganz einfach: Die Macht der Gewohnheit ist groß. Es ist oft für den logischen Verstand nicht nachzuvollziehen, warum wir bestimmte Dinge tun, obwohl das Gute doch so nahe ist. Aber unser Gehirn macht keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Gewohnheiten sind Routine, gehen leicht von der Hand. In einem Interview mit der Zeit erklärt Hirnforscher Gerhard Roth, dass „ die Konfrontation mit neuen und komplizierten Dingen Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Konzentration – das Gehirn strebt darum danach, alles zu routinisieren. Gewohnheiten sind sowohl stoffwechselbiologisch als auch neuronal billig." Dank Routinen und Gewohnheiten steht uns also mehr Energie zur Verfügung und wir „ können uns auch in Stresssituationen darauf verlassen, dass wir das Zähneputzen nicht vergessen und den Weg zur Arbeit finden.“ Wenn wir also unser Verhalten wollen, dann verbrauchen wir mehr Energie und das ist erstmal unbequemer als unsere alten Gewohnheiten beizubehalten. Solange es also keinen (nicht mehr auszuhaltenden) Leidensdruck gibt, der uns das Leben schwer macht, werden wir nichts ändern. Das liegt in der Natur des Menschen. Erst wenn es so richtig wehtut, sind wir gewillt etwas zu ändern. Das macht es so schwer aus alten Verhaltensmustern auszubrechen, die uns zwar stören, uns aber sonst nicht folgenschwer beeinträchtigen. Das gilt vor allen Dingen auch für Entscheidungen, die unser Leben merklich verändern würden. Je folgenreicher eine Entscheidung, desto schwieriger wird es, die Entscheidung zu treffen, gerade wenn eigentlich „alles ganz ok ist“. Klassische Beispiele sind hier Sport machen, gesünder essen, daten, weniger arbeiten, dem Vorgesetzten endlich mal die Meinung sagen, oder eben auch einschneidendere Entscheidungen wie z.B. den Job wechseln oder auswandern. Fakt ist, dass irgendwann diese Gewohnheiten über unser Leben entscheiden, wenn wir es nicht selbst in die Hand nehmen. So einfach ist das. Ich habe mich schon oft dabei erwischt wie ich Tagebucheinträge von vor 5, 3 und 2 Jahren lese und ich unbedingt mal mehr „Theater“ spielen will, aber irgendwie kommt mir das Leben immer wieder dazwischen. Keine Zeit für neue Dinge, es ist schon so alles stressig genug …
Komfortzone vs. Panikzone
Im Lernzonen-Modell von Senninger (2000) wird anschaulich erklärt, warum wir Menschen dazu neigen, uns in einer Komfortzone einzurichten. In der Komfortzone fühlen wir uns sicher und stark, weil wir hier unser Gebiet, den Kontext, genau kennen. Wir wissen ganz genau was wir hier zu erwarten haben. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen oder das Gefühl haben etwas verändern zu wollen, müssen wir uns aus der Komfortzone in die sogenannte Wachstumszone bewegen. Wir begeben uns in ein für uns unbekanntes Gebiet und finden uns in einer Situation wieder, in der wir noch keine Erfahrung gesammelt haben. Wir sprechen dann von einer Lernerfahrung. Unser Handlungsspielraum erweitert sich und unsere Kompetenzen können sich weiterentwickeln. In der Panikzone übersteigen die Anforderungen unsere Handlungskompetenz. Je größer und unbekannter das Gebiet desto schwieriger fällt es uns einen Schritt zu wagen. Wenn es um eine größere Veränderung geht, befinden wir uns eher in einer Panikzone, statt in einer Wachstums- geschweige denn einer Komfortzone. Somit ist es eben einfacher in der Komfortzone zu bleiben. Kostet eben weniger Energie und so ist es doch sowieso ganz in Ordnung, oder? "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll." - Lichtenberg
Die ersten Schritte zur Veränderung: Motivation und Tun
Und wenn es dann doch zu unbequem wird in der Komfortzone, dann gibt es zum Glück Menschen, die sich schon mit dem Thema Veränderungen beschäftigt haben. Konfuzius‘ Zitat über Veränderung ist sicherlich auch schon bekannt: „ Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“ Oder vielleicht auch einfach mit der Erkenntnis, warum wir etwas verändern wollen, also mit unserer Motivation. Auch wenn das Gefühl unspezifisch ist und uns einfach nur klarmacht, dass es so nicht weitergehen kann, kann das Motivation genug sein. Wichtig hier anzumerken ist, dass die Motivation aus uns kommen sollte (intrinsische Motivation). Somit wird es leichter fallen, die Veränderung herbeizuführen, als wenn sie extern motiviert wäre (extrinsische Motivation). Wir lassen uns außerdem weniger schnell von unserer Meinung abhalten, wenn wir intrinsisch motiviert sind. Man kann sich das als Sogwirkung vorstellen. Wir fühlen uns zum Ziel hingezogen, anstatt unter Druck und mit „Zuckerbrot und Peitsche“ zu arbeiten. "Was immer du tun kannst oder träumst es zu können, fang damit an." - Goethe Und um nicht gleich in die Panikzone abzudriften, ist es ratsam erst einmal mit einer kleinen Veränderung im Leben zu beginnen und nicht gleich alles radikal zu verändern. Allein kleine Veränderungen reichen, um unserem Gehirn neue Impulse zu geben. Das können sogar Dinge sein wie mit Klamotten duschen oder fremden Menschen ein Kompliment machen. Es geht darum, irgendwas komplett anders zu machen, sodass wir unseren Organismus „aufwecken“, aus der Routine ausbrechen. Um die ersten Ziele wirksam umzusetzen, ist es laut Gollwitzer (1993) sinnvoll, sich eine sogenannte Implementations-Intention zu setzen. Das bedeutet, das Ziel in so viele Einzelteile wie möglich aufzuteilen. Geht es also beispielsweise darum, einmal pro Woche laufen zu gehen, wäre eine sinnvolle Aufteilung die Folgende: „Am Dienstag nach der Arbeit ziehe ich meine Laufkleidung an und laufe eine Runde um den See.“ Wir geben unserem Gehirn somit weniger Handlungsspielraum es doch nicht zu tun. Unkonkrete Aussagen wie „Ich gehe von nun an einmal pro Woche laufen“ sind zum Scheitern verurteilt, da wir leichter Ausreden finden können es doch nicht zu tun: „Heute bin ich zu müde“, „heute regnet es“, „meine Laufhose sollte ich nochmal waschen …“ Also wie wär’s? Fang gleich jetzt an dir ein Ziel zu setzen. Ohne Entschuldigung. Raus aus der Komfortzone. Weitere Ideen für dich: Eine Woche lang auf Zucker verzichten, nächsten Sonntag wandern gehen, einen Tag ohne Smartphone auskommen, einen Tag lang nur vegan essen …
Die Kosten des Nichtstuns
Was passiert, wenn du nichts tust? Nichts, alles bleibt so wie bisher. Keine Entscheidungen zu treffen, lieber nichts verändern, klappt sehr gut. Der Weg zur Unzufriedenheit ist tückisch, weil er sehr schleichend ist. Es wird immer wieder gute Gründe geben nichts zu tun, abzuwarten, erst nächstes Jahr zu beginnen. Wichtig aber ist sich bewusst zu machen, dass es alles Ausreden deines inneren Anteils sind, um bloß nichts zu ändern, weil es in der Komfortzone ja so gemütlich ist. Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt für Veränderungen. Aber eines Tages wirst du vielleicht aufwachen und dich in einem Zustand wiederfinden, der dir ganz und gar nicht gefällt. "One day baby we'll be old …" - Asaf Avidan Geht es nicht darum verrückte Geschichten im Leben zu erzählen? „ Als ich mit 30 beschloss ein Jahr Auszeit zu nehmen … Ich wusste überhaupt nicht was mich erwartete, aber der Sprung ins Ungewisse war das Beste was mir passieren konnte …“ Nur außerhalb der Komfortzone passiert Magie. Willst du in deinem Sterbebett liegen und dir sagen: „ Wow, toll, dass ich diese Karriere gemacht habe und oft auf Urlaub verzichtet habe für einen Job, den ich noch nicht mal richtig mochte und ständig kurz vorm Burn Out war…“ oder „ Man, diese Entscheidung meinen vielversprechenden Job mit Mitte 35 zu kündigen … Alle in meiner Umgebung hielten mich für verrückt, aber ich wusste, wenn ich jetzt nicht auf mein Herz höre und das Tattoo Studio mit meinem Kumpel eröffne, sondern diesen Job behalte, würde ich mich selbst unglücklich machen.“ Natürlich sind solche Entscheidungen oft keine Vernunftsentscheidungen. Vernünftiger wäre es den gut bezahlten Job zu behalten, aber wenn es sich nicht richtig anfühlt, dann ist es an der Zeit dein Leben in die Hand zu nehmen und Dinge zu verändern. Ohne Ausreden. Das Leben ist zu kurz für keine oder schlechte Entscheidungen. Wenn wir jung sind, haben wir immer das Gefühl unsterblich zu sein und für immer zu leben. Das ist leider nicht wahr und naiv die Augen vor dem Tod zu verschließen. Es kann jeden Moment vorbei sein. Seitdem ich mit diesem Bewusstsein lebe, treffe ich ganz anders Entscheidungen bzw. treffe sie überhaupt mal. Ich habe vor zwei Wochen ein Gespräch mit dem Vater eines Freundes über Job und Karriere geführt. Er war vor seiner Rente ein Karrieretyp, hatte viel Geld. Ich dagegen habe vor einigen Wochen beschlossen gut bezahlte Jobs aufzugeben, weil sie mich nicht glücklich und teilweise krank gemacht haben. Und auch wenn ich manchmal nicht weiß wie ich die nächsten Monate über die Runden kommen soll, bin ich so glücklich wie lang nicht mehr. Seitdem ergeben sich ganz neue Dinge und Jobs, mit denen ich vorher nie gerechnet hätte. Wenn man einmal vor dem nichts steht, kann man auch wieder ganz neu anfangen. Der Vater des Freundes sagte mir, dass er mich für meine innere Stärke, keine Jobs mehr anzunehmen hinter denen ich nicht 100 prozentig stehe, beneidet. Er gibt zu, dass er zwar viel Geld hatte, aber seinen Job und die Kollegen nie gemocht hat. Hör nochmal in dich rein: Was willst du wirklich? Was sagt dein Herz? Fang einfach mit einer kleinen Veränderung an und triff dann größere Entscheidungen. Wenn die erste Umsetzung geklappt hat, lies doch den Artikel über eine ausführliche Zielfindung im Leben und deine Werte.
Danke, dass du dir Zeit für den Artikel genommen hast. Alles Liebe <3